24.12.2001 Bombay, die Stadt der Gegensätze
Mittwoch, 19. Dezember und Donnerstag, 20. Dezember 2001
Gestern verbrachten wir den ganzen Tag mit dem Service an unserem Auto,
wobei Zoltan dem Automechaniker wie üblich ganz genau auf die Finger
schaute.
Und heute fuhren wir nach Bombay respektive Mumbai, wie es nun wieder
heisst. Vom Stadtrand bis zum Zentrum sind es etwa 40 km (!) und die Monsterstadt
empfängt uns mit viel Verkehr, einem unglaublichen Smog und den schlimmsten
Slums, die man sich vorstellen kann. Etwa die Hälfte der gesamten
Stadtfläche wird als Slum bezeichnet, aber das ist wohl die indische
Sichtweise. Für uns wäre es sicherlich noch mehr. Nach den Slums
kommen die Quartiere mit den vermoderten Wohnblöcken, welche selbst
die heruntergekommenen Plattenbauten des Ostens richtig schön und
wohnlich aussehen lassen.
Die Preise sollen weit über dem Landesdurchschnitt liegen und wir
haben tatsächlich Mühe, ein bezahlbares Hotel zu finden, bei
welchem wir auch das Auto abstellen können. Schlussendlich landeten
wir im Shelley's Hotel im Stadtteil Colaba, nur einige Gehminuten vom
"Gateway to India" entfernt, dem alten Anlegeplatz der Schiffe
aus Europa.
Man sagt, Mumbai sei die europäischste aller indischen Städte.
Wir sind gespannt. Wolkenkratzer hat es auf jeden Fall eine Menge, ebenso
wie wunderschöne Kolonialbauten und sogar Weihnachtsdekorationen
sieht man (heute war es übrigens 34°C).
Freitag, 21. Dezember 2001
In Bombay hat man das Gefühl, die Armen seien noch ärmer und
die Reichen noch reicher als anderswo in Indien, weil hier diese zwei
Welten so unmittelbar aufeinanderprallen. Die Mutter mit ihrem Säugling,
auf dem Trottoir schlafend, ihr ganzes Hab und Gut im Plastiksack neben
sich und der junge Geschäftsmann, welcher lautstark in sein Handy
brüllt und fast über die beiden stolpert.
Manchmal denken wir auch, wir könnten in irgendeiner Grossstadt wie
zum Beispiel London sein. Wenn dann aber das Taxi vor einem Rotlicht hält
und ein Bettler die von Lepra verstümmelten Hände ins Auto streckt,
holt uns Indien ganz schnell wieder ein.
Zunächst aber genossen wir die Annehmlichkeiten von Bombay wie den
Bummel durch ein Shopping Center. Uns scheint, dass wir seit Ewigkeiten
keine gepflegten Läden in dieser Konzentration mehr gesehen haben.
Es gibt sogar Bäckereien und in einer davon haben wir dunkles Brot
gesehen! Und beim Emmentaler in einem Laden mit westlichen Waren konnten
wir dann endgültig nicht mehr wiederstehen. Wenn wir in Goa sind
werden wir dazu eine Flasche Rotwein kaufen und das gibt dann ein Festessen.
Ein wenig Weihnachten hatten wir aber heute schon. Wir waren im General
Post Office um unsere Pakete abzuholen. Natürlich fuhren wir dann
sofort ins Hotel zurück und feierten Bescherung! Wir hatten eine
Riesenfreude (und auch ein wenig Heimweh).
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Mit der Weihnachtsdekoration, welche wir aus
Australien bekommen haben, haben wir unser Auto geschmückt
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Wie üblich auf Post und Bank und ähnlichen Institutionen braucht
es einige Geduld, um ans Ziel zu kommen. Wir waren gestern schon im GPO,
bekamen aber nur die Bestätigung, dass Pakete für uns da seien.
Die Pakete selbst konnten uns dann nicht mehr ausgehändigt werden,
weil der Chef der Paketausgabe schon Feierabend hatte. Wir sollen heute
um 10 Uhr wieder kommen. Wir waren da, aber der Mann mit dem Schlüssel
zum Paketabteil kam erst eine halbe Stunde später und musste dann
zuerst noch sein Büro putzen, bevor er den Schalter öffnete.
Nun, wir sind mittlerweile zu sehr geduldigen Menschen geworden (jedenfalls
in Indien) und beschäftigen uns gerne damit, dem Treiben rings um
uns zuzuschauen. Wir sind zum Beispiel immer wieder fasziniert davon,
wie langsam man sich bei der Arbeit bewegen kann...
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Dieser Scherenschleifer allerdings muss kräftig
in die Pedale treten
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Das GPO ist wie viele andere Gebäude Bombays ein wunderschönes
Überbleibsel aus der Kolonialzeit. So wie die daneben liegende Victoria
Railway Station, an welcher täglich über drei Millionen Menschen
ankommen und wieder abfahren. Wir schauten eine Zeitlang den schier unendlichen
Massen von Menschen zu, welche aus dem Bahnhof strömten um in der
City zur Arbeit zu gehen. Die Victoria Railway Station ist übrigens
nur einer der unzähligen Bahnhöfe Bombays. Wir staunten nicht
schlecht, als wir zum ersten Mal in Indien sahen, wie Leute brav in einer
Schlange standen um einen der, an London erinnernden roten Doppeldeckerbusse
zu besteigen.
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Die Victoria Railway Station in Bombay
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Auch wir stiegen am Nachmittag in einen dieser überfüllten
Busse und machten auf diese Weise eine billige Stadtrundfahrt. Sehr komfortabel
ist das allerdings nicht (vor allem wenn Marktfrauen mit ihren stinkenden
Fischkörben neben einem Platz nehmen) und im Gedränge beim Ein-
und Aussteigen muss man höllisch aufpassen, weil der Busfahrer nicht
wartet, bis alle drinnen oder draussen sind. Und leider scheint auch das
Schlangestehen nur gerade beim Bahnhof bekannt zu sein. Wie üblich
vor einem Schalter oder einer Türe in Indien wird hier rücksichtslos
gedrängelt und geschoben und gedrückt.
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Büchermarkt
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Und dann gingen wir wiedermal ins Kino. Indische Filme sind bunt wie
eine Handvoll Smarties, es wird immer gesungen und getanzt, es fliessen
immer Tränen, es geht immer um Liebe und sie haben ein Happyend.
Von diesem Film verstanden wir immerhin fast die Hälfte, weil es
um eine Hochzeit in einer Familie der Oberschicht ging und in diesen Kreisen
wird eine lustige Mischung aus englisch und dem jeweiligen Dialekt wie
Hindi oder Punjabi gesprochen. Ungefähr so, wie früher in den
besseren Familien französisch gesprochen wurde.
Samstag, 22. Dezember 2001
Wir liessen uns heute durch das Stadtzentrum treiben, nahmen manchmal
das Taxi, gingen dann wieder zu Fuss und landeten schliesslich im Crawford-Market,
einer grossen, überdeckten Markthalle.
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Im Crawford-Market
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Es gibt hier Früchte und Gemüse, aber auch unzählige Stände
mit Importwaren. Meist die gleiche Angebots-Palette aus Kraft-Mayonnaise,
Toblerone, Corn Flakes, Danish Butter Cockies, Nescafé und was
der bekannten Markenprodukte sonst noch sind. Die Preise sind etwa gleich
hoch wie in Europa, für indische Verhältnisse also sündhaft
teuer. Aber in Bombay gibt es scheinbar genügend Käufer, die
sich das leisten können. Um das Schleppen der Einkäufe muss
man sich nicht selbst kümmern, dazu stehen Träger mit grossen
Körben bereit. Es hat auch einen grossen Tiermarkt, auf welchem nebst
dem üblichen Geflügel auch Singvögel und Haustiere wie
Hunde und Katzen angeboten werden (und das bei den Millionen herrenlosen
Hunden und Katzen in Bombay!). Etwas weiter steht eine andere grosse Halle
- der Schlachthof. Schon vom Eingang aus sehen wir die fetten, riesigen
Ratten herumspazieren und die Wolken von Fliegen auf dem Fleisch.
Die Menschen die hier arbeiten, schlafen in oder auf den Dächern
der Marktstände, es stinkt nach Urin und Exkrementen sobald man sich
einige Meter von den Einkaufsgassen entfernt und es hat Horden von Bettlern,
welche den Abfall durchsuchen oder uns nachlaufen und uns den Segen Gottes
(welchen Gottes?) versprechen, wenn wir ihnen etwas geben (in Bombay können
übrigens auch die Bettler und Strassenkinder englisch). Die Strassen
rings um die Markthallen sind ein einziger, riesiger Basar und von potenzsteigernden
Mittelchen über weissgepuderte Weihnachtsbäume aus Plastik bis
zu den neuesten Handy-Modellen wird hier alles angeboten.
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Auch Schreibdienste kann man haben
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Und auch das leibliche Wohl käme nicht zu kurz, wenn man keine hygienischen
Bedenken hätte. Schön angerichtete Fruchtteller, frisch gepresster
Zuckerrohrsaft, geröstete Erdnüsse, frittierte Teigtaschen bis
hin zu ganzen Mahlzeiten - alles wird am Strassenrand zubereitet und verzehrt.
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"Restaurants" am Strassenrand
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Es herrscht ein unglaubliches Gedränge, es wird geschrien und gehupt,
es stinkt zum Himmel und der Staub und die Abgase kratzen in der Lunge
und in den Augen. Aber nur einige Schritte weiter und man befindet sich
in einer klimatisierten, chrom- und marmorglänzenden Welt in der
Gucci-Brillen, Samsonite-Koffer oder Rado-Uhren verkauft werden. Sogar
Kaufhäuser im westlichen Stil gibt es in Bombay. Etwas kleiner, etwas
chaotischer, etwas ungepflegter, aber immerhin. Und dann die Mischung
aus schicken Appartementhäusern, scheusslichen Wohnsilos, gläsernen
Wolkenkratzern, Hütten aus Wellblech oder Karton welche an den Mauern
kleben, protzige Kolonialpracht - Bombay ist schon etwas Spezielles. Sehr
spannend, sehr anstrengend, erschreckend, schön und hässlich
zugleich.
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Ein anderes schönes Haus im Kolonialstil
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Sonntag, 23. Dezember 2001
Früher Morgen vor dem Nobelhotel Taj Mahal International: ein männliches
Model in schicken Klamotten posiert vor den Kameras der Modefotografen,
ein paar Meter daneben liegt ein etwa 5-jähriges Mädchen neben
seiner Mutter auf dem Gehsteig, nicht einmal eine Decke oder eine alte
Zeitung schützt die beiden.
Mit diesen Bildern im Kopf verliessen wir Bombay heute früh, immer
noch mit der leisen Hoffnung, Heiligabend unter Palmen am Strand zu verbringen.
Aber bis zur Hauptstadt Goas sind es über 600 km, also mindestens
zwei Tage Fahrt. Nach zwei Stunden über innerstädtische Highways,
wieder vorbei an unendlichen Slums und den Scharen von Menschen, welche
am Strassenrand defäkieren, hatten wir Bombay endlich hinter uns,
die ersten Reisfelder und Kokospalmenhaine neben uns und die Verheissung
eines weissen Strandes vor uns.
Wir fuhren den ganzen Tag und erreichten gegen Abend Ratnagiri, irgendwo
am Meer auf etwa halber Strecke zwischen Bombay und Goa. Das Meer haben
wir aber nur von Weitem gesehen, weil die Stadt etwas landeinwärts
liegt und auch keine erkennbare Strasse zu einem allfälligen Strand
oder Hafen führt. Hier verzweifelten wir fast auf der Suche nach
einer Unterkunft. Es hat zwar jede Menge Hotels, aber alles laute, dreckige,
fürchterliche Absteigen. Das einzige etwas bessere Hotel in der Stadt
war ausgebucht und als es dunkel war, hatten wir immer noch kein Zimmer
gefunden, welches wenigstens Warmwasser oder saubere Bettwäsche gehabt
hätte.
Nun, wir übernachteten dann in einem dieser schäbigen Hotels,
welches aber wenigstens einen Parkplatz für unser Auto hatte. Zum
Glück ist heute nicht Heiligabend, sonst wäre es noch deprimierender
gewesen.
Montag, 24. Dezember 2001
Noch vor Sonnenaufgang machten wir uns wieder auf den Weg. Wobei dies
schlimmer tönt als es ist. In diesen Breitengraden und zu dieser
Jahreszeit geht die Sonne erst etwa um 7 Uhr auf. Dafür ist es um
18 Uhr auch schon wieder dunkel.
Dank der guten Strassen erreichten wir bereits kurz nach Mittag Goa. Und
hier klapperten wir erst mal fast alle nördlichen Strände ab.
In Vagator spazierten Busladungen voller indischer Voyeure am Strand entlang,
in Anjuna knatterten Hunderte junger Hippies auf ihren Motorrädern
durch die Gassen, in Calangute waren die Hotels ausgebucht und so weiter.
Was wir bis jetzt von Goa sahen ist ja wunderschön, aber Weihnachten/Neujahr
hierher zu kommen ist vielleicht nicht die beste Idee.
Wir hatten also schon wieder ziemliche Mühe, ein angenehmes Hotel
in Strandnähe zu finden.
Im völlig überteuerten (die Preise steigen zwischen Weihnachten
und Neujahr etwa um das 3- bis 4-fache) Hotel Marquis in Candolim können
wir jetzt eine Nacht bleiben, aber ab morgen sind sie ausgebucht. Nun,
morgen ist ein anderer Tag und heute konnten wir wenigstens noch den langersehnten
Strandspaziergang machen, den Sand zwischen den Zehen spüren und
in einem gepflegten italienischen Restaurant mit einem Glas Rotwein auf
Heiligabend anstossen. Wenn die Würgefeige und die Kokospalmen nicht
im Garten stünden könnte man glatt vergessen, dass man in Indien
ist und nicht irgendwo an der Adria.
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