Auf dem Landweg nach Australien Home/Reiseberichte Über uns/Kontakt

 

11.10.2001  Uttar Pradesh - der bevölkerungsreichste Bundesstaat Indiens

Sonntag, 7. Oktober 2001

Wir beschlossen gestern, nun direkt nach Nepal zu fahren. Von den Hill Stations haben wir genug gesehen und der Corbett National Park, welcher auch in der Nähe wäre, öffnet seine Tore erst am 15. November. Also starteten wir heute Früh im Wissen, nun einige Tage im Auto zu verbringen.
Kaum hatten wir die Berge hinter uns, schlug die Hitze und Feuchtigkeit wieder unbarmherzig zu. Bei Haridwar überquerten wir den Ganges, an dessen Ufern Tausende von Pilgern die Stellen belagern, an denen man über Stufen ins Wasser steigen kann. Haridwar ist einer der sieben heiligen Pilgerorte der Hindus. Alle 12 Jahre findet hier das bedeutendste Pilgerfest der Erde statt, letztmals 1998. Vielleicht erinnert sich noch jemand an die Bilder, welche auch im Schweizer Fernsehen gezeigt wurden. Millionen von Hindus versammelten sich hier während einiger Tage, wobei es natürlich wie immer bei solchen Mengen auch Tote gab. Und scheinbar erfroren damals auch einige Menschen. Das allerdings können wir uns nur sehr schwer vorstellen.

Wir fuhren bis kurz vor Einbruch der Dämmerung und sind nun in Rampur, einer kleinen Stadt an der Strecke Dehli - Lucknow. Und wir sind wieder mal fix und fertig. Wir wussten ja, dass in Indien viele Menschen leben und die meisten davon hier in der fruchtbaren Ganges-Ebene. Aber zwischen theoretischem Wissen und der Realität hier liegen eben Welten. Die Menschenmassen sind einfach unglaublich und erfordern beim Fahren höchste Konzentration. Es ist, wie wenn man mit dem Auto durch eine nichtendende Braderie (Bieler Volksfest) fährt. Vor allem in den vielen Dörfern ist ein Durchkommen manchmal fast unmöglich. Erschwerend kommt dazu, dass man die Strasse ständig im Auge behalten muss, um den vielen Löchern auszuweichen. Und oft ist die Strasse auch einfach ein besserer Feldweg welcher neben einer, vor langer Zeit eingestürzten Brücke durch das Flussbett führt. Und zu all den exotischen Bildern kommen jetzt auch noch die riesigen Arbeitselefanten und die bunten Papageien dazu.

Morgenverkehr in einem der vielen Dörfer  

Morgenverkehr in einem der vielen Dörfer

Auf jeden Fall wünschten wir uns nur noch ein ruhiges Zimmer und eine Dusche. Aber da in dieser Gegend wohl nicht allzu oft Ausländer sind, müssen wir heute mit indischen Standard auskommen (ohne Dusche). Ausserdem wimmelt es hier von Moskitos und anderem Gekreuche und Gefleuche. Na ja, wir sind ja zum Glück nur auf der Durchreise.

Montag, 8. Oktober 2001

Wir starteten heute bereits um sechs Uhr, damit wir die über 300 km bis Lucknow schaffen. Frühmorgens verdecken noch keine bunten Menschenmassen den Dreck und die Tristesse der Dörfer. Die vielen Schweine und Kühe können ungestört im Abfall wühlen und sich in den Schlammlöchern suhlen. Es ist so feucht, dass die Sonnenstrahlen die Erde zum Dampfen bringen und so fahren wir die ersten paar Stunden durch dichten Nebel. Grosse Affenfamilien überqueren die Strasse, die üblichen Kamikaze-Fahrer kommen uns mit ihren Lastwagen auf der falschen Strassenseite entgegen - der Tag beginnt so anstrengend wie der Gestrige geendet hat. Und zwischendurch sieht man die verrücktesten Sachen. Zum Beispiel einen Pilger, welcher sich nur mit seinen knielangen, verfilzten Haaren bedeckt.

Irgendwo auf der Landstrasse zwischen Rampur und Lucknow  

Irgendwo auf der Landstrasse zwischen Rampur und Lucknow

Ab und zu führt die Strasse über die Eisenbahnlinie. Die Schranken werden etwa eine Viertelstunde vor der Durchfahrt des Zuges geschlossen und sofort bilden sich hinter den Schranken regelrechte Blechpfropfen. Die ersten paar Lastwagen stehen strassenbreit "Schulter an Schulter" mit der Schnauze am Hindernis (wie war das doch gleich in der Schweiz? wird da nicht ein Abstand zur Schranke gelassen um den PW's die Gelegenheit zum Überholen zu geben?), von hinten her füllen die Autos und Ochsenkarren alle Lücken, die Motorräder und Fahrräder werden unter der Schranke durchgeschoben und füllen vorne auf und wenn der Zug von weitem sichtbar ist, beginnt in den billigen Reihen bereits das Hupkonzert. Der Zug selbst ist dann wiederum ein spezieller Anblick: die Menschen hängen aus allen Fenstern, stehen auf jedem Trittbrett und sitzen dichtgedrängt auf dem Dach. Und wenn sich dann die Schranken endlich heben wähnt man sich in Monza oder auf dem Nürnburgring: alle wollen gleichzeitig starten.
An Tagen wie diesen, an denen man möglichst weit fahren will um dieser Waschküche zu entkommen, kann einem der Verkehr ganz schön auf den Keks gehen. Aber die vielen, grauenhaft anzusehenden Autowracks (welche wahrscheinlich zur Abschreckung mitten auf der Strasse stehen gelassen werden) ermahnen uns immer wieder, nicht zu schnell zu fahren. Und die Beule hat heute jener Fahrer eingefangen, welcher sich partout zwischen uns und dem vor uns fahrenden Bus reinquetschen wollte. Aber eine Beule ist hier scheinbar noch lange kein Grund zum Anhalten.

Einer der vielen Unfälle  

Einer der vielen Unfälle

Ausserdem muss man höllisch aufpassen, um nicht eine der vielen Kühe zu überfahren (was anscheinend bis zu 15 Jahren Gefängnis einbringen kann). Die Kühe scheinen sich ihres Sonderstatus sehr bewusst zu sein und liegen oft mitten auf der Strasse, gemütlich wiederkäuend und die Hupe völlig ignorierend. Verkehrshindernisse sind auch die Traktoren mit Anhänger, ein beliebtes Transportmittel. Es ist unglaublich, wie viele Menschen in solche und andere Transportmittel reinpassen. Waren im Iran noch drei Leute vorne im Auto Standard, sind es hier vier. Plus die paar, die noch auf dem Trittbrett hängen. Und dann kommt noch der Rücksitz und natürlich das Dach und bei Lastwagen oder ähnlichem auch noch die Kühlerhaube. Am Effizientesten werden aber wohl die luftverpestenden "Tempos" gefüllt, dreirädrige Motorradrikschas, welche theoretisch für 8 Leute Platz bieten und praktisch etwa für 30 (plus für einige Säcke Kartoffeln).

Lucknow ist eine 2-Millionen-Stadt und wir waren zu kaputt um allzu lange nach einem guten und günstigen Hotel zu suchen. Wir sind jetzt im Clarks, welches zwar sehr gut aber gar nicht günstig ist. Auch nachdem wir den Preis um 50% runterhandeln konnten, kostet das Zimmer immer noch hundert Franken. Aber wir finden, nach diesen zwei Tagen haben wir uns etwas Luxus verdient.

Dienstag, 9. Oktober 2001

Da wir in unserem Leben wahrscheinlich nicht mehr so schnell nach Lucknow kommen werden, haben wir uns heute Vormittag aufgerafft das kühle Hotel zu verlassen, um wenigstens etwas von dieser Stadt gesehen zu haben.
Wir besuchten die britische Residenz, welche um 1800 für den englischen Statthalter gebaut wurde und 50 Jahre später einer der Schauplätze des indischen Unabhängigkeitskampfes gegen die englischen Besatz war. Die Gebäude, welche sich in einem grossen, ummauerten Park befinden wurden genau so belassen, wie sie am Ende der langen Belagerung aussahen: übersät von Löchern, welche Kanonenkugeln hinterlassen hatten und mit vom Brand geschwärzten Mauern. Auch auf dem alten Friedhof scheint die Geschichte greifbar zu sein, zeugen doch die Grabinschriften von den dramatischen Ereignissen. Einen besonderen Reiz scheint der schattige, wunderschöne Park auf Liebespärchen auszuüben. Wir hatten schon ein richtig schlechtes Gewissen, so viele störten wir beim tète-à-tète.
Auch das Mausoleum des Assaf-ud-Daula muss für Schäferstündchen äusserst beliebt sein, steht doch am Eingang: "Wenn ein Mann mit einer Frau zusammen ins Labyrinth will, darf er das nur mit einem Führer". Ein Führer ist aber auch für alle anderen empfehlenswert, findet man doch alleine kaum mehr aus der unendlichen Anzahl von Räumen, Gängen und Treppen hinaus. Die Anlagen des Mausoleums inklusive einer grossen Moschee (Assaf-du-Daula war Muslim) gruppieren sich um einen Park und vom Dach des Grabmales aus hat man einen schönen Blick auf Lucknow. Wir besichtigten lediglich das Hauptgebäude inklusive Labyrinth (natürlich mit Führer, damit uns nicht in einer der vielen Nischen unsittliche Gedanken kämen) und sparten uns den Rest. Auch für das andere Grabmal, das Chota Imambara, über welches unser Reiseführer schreibt: "das Ganze wirkt wie die etwas ins Kraut geschossene Indienphantasie eines westlichen Freizeitparkdirektors", reichte unsere Energie leider nicht mehr. Obwohl dort eine Kopie des Taj Mahal stehen soll. Aber Agra liegt ja auch noch auf unserer geplanten Indien-Route und bis dahin wird das Klima wohl etwas angenehmer sein.

Eingangspforte zum Mausoleum Assaf-du-Daula in Lucknow  

Eingangspforte zum Mausoleum Assaf-du-Daula in Lucknow

Mittwoch, 10. Oktober 2001

Von Lucknow nach Gorakhpur, 300 km, 9 Stunden: das war unser Tag. Wobei wir über eine Stunde brauchten, um durch die vor Menschen schier platzende Pilgerstadt Faizabad zu fahren. Gorakhpur (über 600'000 Einwohner) ist in etwa die hässlichste Stadt, durch die wir bisher kamen. Und auch die Strecke hierher ist nicht besonders empfehlenswert. Seit wir bei Faizabad den Ganges überquert haben, stehen weite Landstriche immer noch unter Wasser - ein riesiger, mückenverseuchter Sumpf. Und die Verhältnisse in denen die meisten Menschen hier leben, spotten jeder Beschreibung. Vier Pfähle und etwas Stroh darumherum, wenn es hoch kommt ein Bretterrost zum darauf schlafen, ansonsten teilt man sich den Lehmboden mit der Ziege oder der Kuh. So viele Menschen und solch bitterste Armut kann man sich kaum vorstellen, wenn man es nicht selbst gesehen hat. Die meisten Leute sind denn auch spindeldürr und viele laufen barfuss.

Hütte am Strassenrand  

Hütte am Strassenrand

Die Schulstunde findet unter freiem Himmel statt, die Tafel ist an einen Baum gelehnt und etwa hundert Kinder unterschiedlichsten Alters lauschen einem Lehrer. Und natürlich kann sich hier auf dem Land niemand eine Schuluniform leisten.

Im "besten" Zimmer des "besten" Hotels in Gorakhpur fliegen uns die Heuschrecken und andere Viecher um die Ohren und wir wollen nur noch eines: raus aus dieser Sauna!

Donnerstag, 11. Oktober 2001

Nochmal ein Tag zum schnell vergessen. Nachdem wir hunderten von Käfern und ihren Verwandten im Zimmer Lebewohl gesagt hatten, brauchten wir über eine Stunde um aus Gorakhpur rauszufinden. Das schafften wir trotz GPS aber nur halbwegs und nach einer längeren Irrfahrt durch die Aussenquartiere auf der Suche nach der richtigen Strasse gaben wir auf und nahmen einen riesigen Umweg in Kauf, um an die nepalesische Grenze zu gelangen.
Um halb zwölf waren wir dort und standen im Grenzort Sunauli zuerst mal eine Stunde im Stau, und das bei der schönsten Mittagshitze. Die indischen Formalitäten waren relativ rasch erledigt, nachdem wir mit Glück und einheimischer Hilfe (natürlich gegen ein kleines Bakschisch) die richtigen Stellen gefunden hatten. Das Passbüro befindet sich irgendwo zwischen Metzger und Fahrradhändler und das Zollbüro versteckt sich schräg gegenüber hinter einem Kioskhäuschen. Auch das nepalesische Visa hatten wir ziemlich rasch weil wir wussten, dass wir genau 60 US$ bereitzuhalten haben. Ohne Dollars gibt es hier kein Visa und allfälliges Wechselgeld gäbe es in Rupien und zu einem lausigen Kurs. Leider konnten wir dem Traveller vor uns mit seiner 100-$-Note auch nicht aus der Patsche helfen.
Und dann mussten wir noch die Fahrzeugeinfuhr erledigen. Zuerst durften wir über eine Stunde auf den zuständigen Beamten warten, welcher anscheinend gerade seine Siesta hielt. Als er das Carnet de Passage endlich ausgefüllt und alle Schubladen in unserem Auto geöffnet hatte, verschwand er mit Pass und Carnet und ward zwei Stunden nicht mehr gesehen. Abends um Fünf hatten wir die Grenze endlich hinter uns und unsere Laune war auf dem Tiefpunkt. Wir fuhren nur noch bis Bhairahawa, welches etwa fünf Kilometer hinter der Grenze liegt und sind jetzt wiedermal auf Mückenjagd.

Für alle die sich fragen, warum wir denn nicht campen: abgesehen davon, dass es momentan im Auto viel zu heiss ist, möchten wir auch nicht unbedingt im Mittelpunkt eines Volksauflaufes stehen. An welch verlassenen Plätzen wir auch immer anhalten - es dauert keine zwei Minuten und wir sind von Duzenden von Menschen umringt. Wobei sie so nahe kommen, dass wir uns kaum mehr bewegen können (wir hätten also nicht mal Platz, um die Campingstühle aufstellen zu können...).

Neugierige Inder  

Neugierige Inder

 

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