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10.09.2001  Bam, die "Geisterstadt der Wüste" und andere iranische Geschichten

Samstag, 8. September 2001

Wir verbrachten den halben Vormittag auf dem Hauptpostamt in Kerman. Das Einfachste war noch, ein paar Ansichtskarten abzugeben. Diese wurden gestempelt und landeten auf einem kleinen, verstaubten Haufen anderer Ansichtskarten. Wahrscheinlich werden diese ein paar Wochen lang gesammelt bis es sich lohnt, sie nach Teheran weiterzuspedieren, wo sie dann irgendwer liest, die Unbedenklichen aussortiert und für den Versand nach Europa freigibt.
Dann wollten wir unsere postlagernden Briefe abholen. Zum Glück stand eine Iranerin in der Nähe, welche etwas englisch konnte. Ein paar Schalter später (immer mit Hilfe der Iranerin) zeigte uns endlich jemand den Schaukasten, welcher mitten in der Post hing. In diesem waren hinter einer verschlossenen Glastüre etwa fünf Briefe angepinnt, zwei davon für uns. Jetzt ging es nur noch darum jemanden zu finden, der den Schlüssel hat. Auch darum kümmerte sich unsere freundliche Helferin. Sie benötigte eine geschlagene Stunde dazu. Wir dürfen gar nicht daran denken, wie lange wir alleine dazu gebraucht hätten. Nachdem wir unsere Post gelesen hatten (lieber Schnuff: danke für das Tagi-Magi!) wollten wir noch unsere belichteten Filme und ein paar Sachen, welche wir nicht mehr brauchen, nach Hause schicken. Ein Postbeamter sah sich die Sachen genau an und sortierte aus, was wir nicht verschicken dürfen - also alles, ausser die Strassenkarten und Reisebücher. Er nahm die Filme nicht an (es könnten ja Fotos von militärischen Anlagen drauf sein), er nahm die Keksdose nicht an (ob er wohl Rauschgift darin vermutete?) und unsere Thermosflaschen waren ihm auch suspekt (wahrscheinlich hat er so was noch nie gesehen und tippte auf irgendwelche Raketensprengköpfe). Wir haben dann aufgegeben und alles wieder mitgenommen. Vielleicht haben wir in Pakistan mehr Glück.
Den Einheimischen geht es übrigens nicht besser. Sie müssen alles abgeben was sie verschicken wollen, dieses wird auf Herz und Nieren geprüft (wir sahen den Postbeamten sogar ein Parfümfläschchen aufmachen) und erst dann wird es von den Postangestellten verpackt und verschnürt. Am Schluss darf der Absender dann noch die Adresse draufschreiben. Ein Brief darf ebenfalls nicht im Packet sein. Wir sahen, wie ein solcher aussortiert und zurückgewiesen wurde. Und jetzt fragen wir uns natürlich, ob hier alle Post gelesen und zensuriert wird.
Unsere postlagernden Briefe waren auf jeden Fall nicht geöffnet. Wahrscheinlich wäre sonst das Tagi-Magi konfisziert worden, weil irgendwo sicher eine fast nackte Frau abgebildet ist.

Nachdem Tara einer iranischen Hochzeit bei den Frauen beiwohnen konnte, hat Zoltan nun sein eigenes "Männererlebnis". Wir trafen am Nachmittag in einem Teehaus - welches früher ein Badehaus war - ein Paar aus der Schweiz und Italien. Nach kurzem Plaudern beschlossen die Männer, doch mal ein "richtiges" Badehaus aufzusuchen. So machten sie sich auf (die Frauen wohlversorgt im Teehaus) durch die kleinen und verwinkelten Gassen des Bazars und fanden bald darauf ein solches. Über eine steile Treppe stiegen sie in dieses hinunter und kamen in den Eingangsbereich, wo gerade ein Mann nach Mekka ausgerichtet betete und ein anderer schlafend (na ja, es war ja auch Siestazeit) am Boden lag. Der Bademeister wies Zoltan und seinen Begleiter zu den Garderoben, wo sie sich auszogen und dann mit einem Stück Leinentuch um die Lenden geschlungen in den Baderaum wechselten, welcher bedeutend wärmer ist und eine höhere Luftfeuchtigkeit hat. Der Baderaum hat eine grosse Kuppel mit Löchern in der Mitte, durch welche ein weiches Licht auf den nassen Steinboden fällt und so eine ganz spezielle Atmosphäre entstehen lässt. Nach dem Abduschen erschien der "Wäscher" und deutete ihnen unmissverständlich, dass einer zu ihm kommen soll. Der Italiener traute der Sache noch nicht ganz und schob Zoltan vor. Es war, als ob man eine Arena betritt; der "Wäscher" mitten im Raum, beleuchtet durch die einfallenden Sonnenstrahlen und wartend auf den "Schmutzfink". Man setzt sich nun ganz einfach auf den Boden und dann beginnt die Prozedur. Zuerst wird man mal geschmeidig gemacht, indem man einige spezielle Verrenkungen der Arme und des Oberkörper über sich ergehen lässt (welche wohl in keinem Chiropraktikerhandbuch nachgeschlagen werden können). Danach wird man von Kopf bis Fuss mit einem groben Waschhandschuh und einer spezielle Seife abgerubbelt (im Schönheitsneudeutsch nennt man dies "peeling") und mit warmen Wasser aus einem Kübel abgewaschen. Mittlerweile auf dem Bauch liegend kommt nun die Hauptmassage: der "Wäscher" steht mit einem Bein auf dem Rücken und massiert so bis zum Oberschenkel hinunter und es scheint, als ob dies die Siegespose über den Schmutz ist.

Sonntag, 9. September 2001

Eine Fähigkeit geht den Iranern völlig ab: das Schlangestehen. Diese Erfahrung machten wir eigentlich schon an der Grenze Türkei-Iran, als ein Iraner über den Kopf der völlig verdutzten Tara hinweg seinen Pass dem Beamten reichte, welcher daraufhin den Pass von Tara weglegte und zuerst den Iraner abfertigte. Damals dachten wir noch, das sei halt ein besonders rüpelhaftes Exemplar eines Einheimischen. Im Gegenteil. Sobald es irgendwo einen Schalter oder eine Theke hat, geht ein Gedrängel und Geschubse los und noch der Letzte nimmt für sich selbstverständlich in Anspruch, als Erster dranzukommen. Für uns "disziplinierte" Europäer ist das absolut ärgerlich und mangels Sprachkenntnissen können wir uns auch nicht wehren. Ausserdem wären wir die Einzigen die reklamieren, weil alle anderen zu sehr damit beschäftigt sind, sich vorzudrängen.
Ein Erlebnis besonderer Art ist jeweils das Tanken. Da es viel zu wenig Tankstellen mit Diesel hat, herrscht dort jeweils Chaos pur. Wahrscheinlich gibt es schon irgendwelche Regeln, von welcher Seite man an die Zapfsäulen heranzufahren hat. Aber Regeln sind was für Dumme. Oder für die, die Zeit haben. Und Lastwagen- und Buschauffeure haben prinzipiell keine Zeit, also werden die waghalsigsten Manöver gemacht, damit man auch von der anderen Richtung zur Zapfsäule kann und somit die Chance hat, jemanden den Schlauch aus den Händen zu reissen.
Wir mit unserem winzigen Auto stehen immer eingezwängt zwischen riesigen Trucks (welche partout nicht verstehen wollen, dass so ein kleines Auto Diesel braucht) und wenn wir dann eine Säule erobert haben und nach dem Haupttank auch noch den Zusatztank füllen wollen, ist uns ein ungeduldiges Hupkonzert sicher. Beim Tanken steht man bis zu den Knöcheln in einer schwarzen Brühe (Diesel ist ja viel billiger als Wasser, also spielt es auch keine Rolle wie viel danebengeht) und wird ausserdem unablässig von einer Horde schmutziger, aufdringlicher Kinder umlagert, welche Kaugummi verkaufen wollen oder einfach um Geld betteln. Und zwar mit einer Hartnäckigkeit und Penetranz, dass man schon mal laut wird (besonders wenn Zoltan dann im Gedränge der Diesel über die Hose schwappt oder so ein Junge versucht, ins Auto zu steigen). Und nach dem Tanken geht dann der Streit los, wie viele Liter man getankt hat und wie viel man zu bezahlen hat, wobei man uns fast regelmässig übers Ohr hauen will (wegen 10 Rappen oder so). Also wirklich stressig.

Wir fuhren heute von Kerman nach Bam und nähern uns somit der Grenze zu Pakistan. Aber auch der Wüste Lut und es wurde heisser und heisser. Die Polizeiposten werden häufiger und die Männer bärtiger.
Bam ist eine Oasenstadt mit vielen Dattelpalmen aber wenig Charme und keinen Umweg wert, wäre da nicht die alte Stadt Arg-e Bam.
Arg-e Bam wird auch "die Geisterstadt der Wüste" genannt. Am Rande der Wüste Lut gelegen, besteht diese Anlage aus dem Mittelalter aus einer sehr gut erhaltenen Festung und den Ruinen einer grossen Stadt. Das Ganze wird von einem mächtigen Wall umgeben. In der Blütezeit dieser Stadt lebten hier etwa 13'000 Menschen.

Arg-e Bam, "die Geisterstadt der Wüste"  

Arg-e Bam, "die Geisterstadt der Wüste"

Wir verbrachten die letzten zwei Stunden vor Sonnenuntergang hier und sind zutiefst beeindruckt. Arg-e Bam ist jeden Umweg wert und wirklich einer der Höhepunkte im Iran (nebst Esfahan und Persepolis).

Arg-e Bam, im Hintergrund die Oasenstadt Bam  

Arg-e Bam, im Hintergrund die Oasenstadt Bam

Eigentlich wollten wir hier zwei Nächte bleiben, um Arg-e Bam auch bei Morgenlicht besuchen zu können. Aber nachdem wir nun im Hotel sind, haben wir unsere Pläne geändert und fahren bereits morgen an die Grenze. In Bam gibt es ein Guesthouse (mit lächerlich winzigen Zimmern und Gemeinschaftstoilette) und ein hässliches Hotel, welches absurd hohe Preise verlangt und dafür schmuddelige Zimmer bietet. Und das Ganze auf eine unfreundliche, schon fast unverschämte Art. Wir werden also zusehen, dass wir so schnell wie möglich nach Quetta kommen. Das bedeutet drei Tage, von morgens bis abends "on the road".

Montag, 10. September 2001

Wir sagten den Kakerlaken in Bam ohne Bedauern Adieu und machten uns auf den Weg nach Osten. Die Strasse führt an den Ausläufern der Wüste Lut vorbei, einem der heissesten Orte der Erde. Bereits am frühen Vormittag war unser Thermometer im Auto, welches bis 50° anzeigt, am Anschlag. Aber es wurde noch viel, viel heisser. Sandteufel begleiteten uns und in der Ferne löste sich das schwarze Asphaltband der Strasse in flüssiges Silber auf. Die wenigen entgegenkommenden Autos schienen auf diesem Silber zu schwimmen und unsere Augen gaukelten uns kühle Gewässer am Horizont vor.
Um die Mittagszeit wollten wir eine kurze Rast einlegen und unser trockenes Brot von gestern essen. Aber kaum hatten wir uns im spärlichen Schatten einer Ruine niedergelassen, hörten wir ein verräterisches "Pffff" welches uns den Appetit gründlich verdarb.

Zoltan beim Reifenwechsel  

Zoltan beim Reifenwechsel

Unser erster Plattfuss und dies ausgerechnet im heissesten Moment. Da wir uns immer noch in unsicherem Gebiet befinden beeilten wir uns natürlich, das Reserverad zu montieren. Und dann machten wir, dass wir so schnell wie möglich in die nächste Stadt kamen, um den defekten Reifen reparieren zu lassen (es steckte übrigens eine lange Schraube im Pneu). In dieser Gegend noch einen Platten zu haben und selbst einen Schlauch flicken zu müssen, hätte uns sehr gestresst, gelinde gesagt.
In Zahedan fanden wir dann trotz Siestazeit eine offene Werkstatt. Das Personal bestand zwar "nur" aus zwei kleinen Kindern, aber diese hatten den Pneu in Rekordzeit vom Felgen! (Esthi von der Radac: bitte deinen Männern zeigen). Jetzt hoffen wir nur noch, dass der Flicken hält.

Schon wieder Kinderarbeit!  

Schon wieder Kinderarbeit!

Da Zahedan eine fürchterliche Stadt ist (wir hatten den Eindruck, alle seien stoned) fuhren wir noch weiter bis Mirjahve, dem letzten Ort vor der Grenze. In unserem Reiseführer steht, dass es dort ein Hotel geben soll. Leider wurde dieses vor einiger Zeit geschlossen und so standen wir am späten Nachmittag am Arsch der Welt statt unter einer Dusche. Und es war immer noch mörderisch heiss. Also traten wir die "Flucht nach vorne" an und versuchten, heute noch über die Grenze zu kommen (da es auf pakistanischer Seite ein Hotel geben soll). Und siehe da, wir hatten Glück. Sowohl die Iraner wie auch die Pakistani hatten die Büros noch offen.
Die Iraner machten es kurz und wir konnten noch mal die riesigen Porträts von Khomeini und Khatami am Zollgebäude bewundern, nachdem uns diese während des letzten Monats auch noch im hintersten Winkel des Irans verfolgten. Die Pakistani begrüssten uns mit dem Hinweis, dass Tara das Kopftuch jetzt ausziehen könne, man sei hier in einem freien Land (!) und benötigten dann volle zwei Stunden für ihre diversen Stempelchen.
Mittlerweile wurde es dunkel und noch heisser. Der pakistanische Grenzort heisst Taftan und wir hatten das Gefühl, aus dem zivilisierten Europa in ein Entwicklungsland geschleudert worden zu sein, wie es schlimmer kaum sein kann. Sandverwehungen statt Wege, Holzhütten und Zelte statt Häuser, zerlumpte Menschen und ein unbeschreiblicher Dreck.
Im Lichte unserer Scheinwerfer fanden wir dann das Hotel. Und im Lichte einer Petrollampe bezogen wir ein Zimmer, welches heisser war als ein Backofen.

 

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