30.08.2001 Die Wüstenstadt Yazd
Mittwoch, 29. August 2001
Wir liessen Esfahan gestern so richtig stilvoll ausklingen mit Dinner
und Tee im wunderschönen Garten den Hotel Abbasi.
Jedesmal wenn wir vormittags eine Stadt verlassen, sehen wir ausserhalb
des Zentrums die übriggebliebenen, traurigen Häufchen Tagelöhner
in ihren zerschlissenen Kleidern am Strassenrand sitzen, immer noch in
der Hoffung auf irgendwelche Arbeit. Die Arbeitslosigkeit im Iran ist
enorm und Bettler, manchmal ganze Familien, sieht man relativ oft.
Auch den Pass halten wir jeweils schon bereit, denn an jeder Strasse die
in eine Stadt hinein- oder wieder hinausführt hat es Polizeisperren.
Wir werden praktisch jedes Mal angehalten, denn unser Auto erweckt die
Neugierde. Und jedes Mal wenn der Polizist nicht englisch kann, können
wir schnell wieder weiterfahren (sie wollen sich wahrscheinlich nicht
blamieren). Wenn einer der Polizisten jedoch englisch spricht kann es
schon mal vorkommen, dass Zoltan mit den Pässen ins Büro muss
oder wir das Auto öffnen müssen. Unangenehme Begegnungen hatten
wir allerdings bis jetzt noch keine.
Die Strasse von Esfahan nach Yazd führt durch eine trostlose Steppenlandschaft,
in welcher weder Ackerbau noch Viehzucht möglich ist. Statt Kühe
tauchen die ersten Kamele auf und kurz vor Yazd auch die ersten Sanddünen.
Die Wüstenstadt Yazd ist laut Unesco eine der ältesten Städte
der Welt. Sie liegt zwischen der Salzwüste Kavir im Norden und der
Sandwüste Lut im Süden (eine der heissesten Wüsten der
Welt). Ausserdem ist die Stadt berühmt als Hochburg der Zarathustrier,
welche hier immer noch im einzigen zoroastrischen Wohnviertel Irans leben.
Mit Wasser versorgt wird die Stadt über unterirdische Kanäle,
welche vom etwa 50 km entfernten Shirkuh-Massiv hierherführen (es
handelt sich also nicht um eine Oasenstadt).
Nachdem wir unser Hotel (mit 20$ wieder mal im Budget) bezogen und ein
paar Mal unter dem kalten Wasserstrahl in der Dusche gestanden sind, ziehen
wir gegen 18 Uhr los um die Stadt zu erkunden. Es ist immer noch brütend
heiss und so versteht man auch, dass die Bevölkerung hier erfinderisch
sein muss. Duzende von Windtürmen prägen die Altstadt von Yazd.
Diese leiten selbst das leiseste Lüftchen in die Wohnräume,
welche zum Teil unterirdisch angelegt sind. Also eine Art Klimaanlage
aber ohne Strom und erst noch gesünder.
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Altstadt von Yazd mit Windturm
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Wir stiegen auf die Minarette des Tekiye Amir Cahmãq und wurden
mit einer wunderbaren Aussicht auf die Stadt belohnt. Die ganze Stadt
ist von derselben braunen Farbe der Lehmziegel, welche auch heute noch
hergestellt und verwendet werden.
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Blick über die Stadt Yazd
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Als wir uns auf der Suche nach Wasser in eine Moschee verliefen und unsicher
am Eingang stehen blieben (weil sich ausschliesslich Frauen darin aufhielten),
wurden wir jedoch freundlich hereingebeten. Im Inneren glitzerte und funkelte
es an den Decken und Wänden, welche mit unzähligen kleinen Spiegeln
komplett bedeckt sind. Wir setzten uns hin und bestaunten diese Pracht,
während rund 200 Augenpaare unter schwarzen Tschadors uns bestaunten.
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Tekiye Amir Cahmãq
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Wir liessen uns in den verwinkelten engen Gassen der Altstadt und im
Bazar treiben und landeten schliesslich in einem Teehaus, welches in einem
ehemaligen Haman (Badehaus) eingerichtet wurde. In diesem Teehaus hat
es auch ein Restaurant. Aber kaum hatten wir Platz genommen wurden wir
auch schon an einen Tisch gebeten, an welchem etwa 20 Frauen sassen und
darauf brannten, uns kennen zu lernen. Da eine Medizinstudentin aus Teheran
und eine Englischlehrerin anwesend waren, konnten wir uns auch gut verständigen.
Und natürlich wurden wir wieder mit den immer gleichen Fragen bombardiert:
Woher wir kommen, ob uns der Iran gefällt, ob wir Kinder haben (wobei
unser Nein dann immer grosses Staunen hervorruft), wie alt wir seien (wir
werden generell 10 bis 15 Jahre jünger geschätzt), was wir arbeiten
etc. Und ebenso natürlich werden wir eingeladen, das Vorhandene mit
ihnen zu teilen (leider waren sie schon beim Dessert) und zu ihnen nach
Hause zu kommen. Im Gespräch finden wir auch heraus, dass eines der
Mädchen die Ehefrau eines ebenfalls (an einem anderen Tisch) anwesenden,
etwa 30-jährigen Mannes ist. Wir konnten es kaum glauben und fragten
nach dem Alter des Mädchens. Sie war erst 16 Jahre alt, und hatte
vor 10 Monaten, also im Alter von 15 Jahren geheiratet. Und es wurde uns
versichert, dass dies keineswegs ungewöhnlich sei. Im Stillen haben
wir uns dann doch gefragt was das wohl für Männer sind, die
Gefallen daran finden, ein Kind zu heiraten. Aber wir liessen uns natürlich
nichts anmerken.
Donnerstag, 30. August 2001
Da wir uns schon in einer Stadt der Zarathustrier befinden, besichtigten
wir heute morgen eine ihrer Bestattungsplätze, einen sogenannten
"Turm des Schweigens". Zwei davon wurden ausserhalb der Stadt
auf Hügeln errichtet, welche man (schwitz, schwitz) besteigen kann.
Bis vor etwa 50 Jahren wurden hier noch die Toten den Geiern zum Frass
ausgesetzt. Der Glaube der Zarathustrier verbot es ihnen, die Toten zu
begraben (weil dadurch die Erde verschmutzt würde) oder zu verbrennen.
Am Fusse der Hügel sind noch halbzerfallene Wohngebäude zu sehen,
auch diese haben viele unterirdische Räume zum Schutz vor Hitze und
Kälte.
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Im Hintergrund ein sogenannter "Turm des
Schweigens", eine Begräbnisstätte der Zarathustrier
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Gegen Mittag verfällt die sonst so geschäftige und lärmige
Stadt in ein Koma. Man sieht kaum noch Menschen auf der Strasse und so
ist es auch für uns Zeit, uns zurückzuziehen. Die Temperaturen
erreichen im Schatten weit über 40° und die Luft ist staubtrocken,
so dass man kaum atmen kann.
Bevor wir zurück ins Hotel gehen, kaufen wir uns jeweils noch ein
paar Flaschen Mineralwasser. Und das kann dann so gehen: Wir gehen in
den ersten Tante-Emma-Laden und fragen nach Wasser. Es gibt nur eine Flasche,
aber wir wollen vier. Ladenbesitzer A geht auf die Strasse und ruft nach
vis-à-vis, wo es einen anderen Laden hat. Ladenbesitzer B kommt
auf die Strasse und eine lebhafte Diskussion entbrennt (wobei wir soviel
verstehen, dass B auch kein Wasser hat). B kommt dann über die Strasse
und macht sich mit A auf den Weg zu einem etwa 100 m entfernten dritten
Laden. Schliesslich kommen A und B und Ladenbesitzer C freudig strahlend
mit 4 Flaschen Mineralwasser zu uns zurück. Voilà, Mineralwasserkauf
auf iranisch!
Die Iraner holen ihr Wasser an einer öffentlichen Zapfstelle, wie
zum Beispiel einer Moschee. Moscheen sind überhaupt praktisch, weil
es dort in der Regel auch eine Toilette hat. Solche gibt es sonst nirgends,
nicht einmal in Restaurants. Empfindlich darf man allerdings nicht sein!
Am Abend schlenderten wir noch etwas in der Altstadt herum, besuchten
diverse Mausoleen und Moscheen und wurden vor so einer wieder einmal von
einer iranischen Familie (Vater mit drei Kindern) angesprochen. Der 15-jährige
Sohn spricht ziemlich gut englisch, ebenso der Vater. Die fast unweigerlich
folgende Einladung nahmen wir dieses Mal an und landeten in einem wahrscheinlich
typischen iranischen Einfamilienhaus. Von Aussen sieht man lediglich Mauern
ohne Fenster und eine Türe. Durch diese Türe betritt man einen
kleinen Innenhof, in welchem in diesem Fall einige Granatapfelbäume
stehen. Auf der einen Seite des Innenhofes befindet sich ein einfaches,
einstöckiges Haus. Durch die Wohnungstüre betritt man direkt
das Wohnzimmer (natürlich werden die Schuhe draussen ausgezogen),
welches ausser Teppichen auf dem Boden, einer kleinen Kommode mit einem
Fernseher und einer Neonröhre an der Decke keinerlei Einrichtung
hat. Ausser dem Wohnzimmer gibt es zwei weitere Räume (in einem steht
immerhin ein Pult mit einem PC), die Küche und die Sanitärräume.
Kurz etwas Allgemeines zu den Sanitärräumen: vor diesen stehen
in jeder Privatwohnung (aber auch in jedem Hotel) Gummilatschen bereit,
welche man anziehen muss wenn man das Örtchen betritt und dann wieder
auszieht. Und wehe, man betritt ohne diese Latschen das WC und dann die
Wohnung oder behält die Gummilatschen nach dem WC-Besuch in der Wohnung
an. Dann hat man die Wohnung verunreinigt und die Hausfrau muss die gesamten
Böden resp. Teppiche schrubben. Aber das nur zwischendurch.
Als wir die Wohnung betraten, wurden sofort Kissen geholt und an die
Wände gestellt (dass wir uns anlehnen konnten). Die Hausfrau sahen
wir anfangs überhaupt nicht. Aber aus der Küche kam ein nicht
abreissender Strom an Getränken und Essen. Limonade, Tee, Melonen,
Trauben, Süssigkeiten, dann kam die Nachbarin (welche sofort in der
Küche verschwand) und ihr Mann, aus der Küche kam Suppe während
an der Türe schon der nächste Nachbar läutete, zwischendurch
wurde der Jüngste zum Bäcker geschickt, der Bruder unseres Gastgebers
tauchte auf, aus der Küche kamen Fladenbrot, Joghurt und Käse
und endlich auch die zwei Frauen, welche sich jedoch hinter einer Ecke
auf den Boden setzten. Während wir im Wohnzimmer gegessen hatten,
assen die Frauen für sich in der Küche (auch dort liegt ein
Teppich auf dem Boden). Tara wurde es langsam ungemütlich im Wohnzimmer
denn wir spürten genau, dass für uns eine Ausnahme gemacht wurde.
Die Männer die den Raum betraten, gaben nur Zoltan die Hand und Tara
wurde völlig ignoriert - die Geschlechtertrennung wird hier noch
strikte eingehalten. Und selbst als die Nachbarin hinter der Mauer ein
Stück Kuchen ass, tat sie das mit vor das Gesucht gehaltenem Tuch.
Leider sprachen die Frauen kein Wort englisch, sonst hätte sich Tara
zu ihnen gesellt (wir wollen ja die Gesellschaft hier nicht verändern).
Natürlich wurde im Laufe des Abends auch mal das Thema Politik gestreift.
Da der Bruder unseres Gastgebers gegen Khatami und gegen jede Reformbewegung
ist, äusserten wir uns (respektive Zoltan, Tara schaute meistens
nur höflich zu Boden) natürlich über dieses Thema nicht.
Nun, es war ein interessanter, aber auch ein schwieriger Abend. Wir wurden
herzlich willkommen geheissen und bewirtet, aber dieses Mal wussten wir
zwischendurch wirklich nicht mehr, wie wir uns korrekt zu verhalten haben.
Wir hoffen, nicht allzu viele Fehler gemacht zu haben, damit weiterhin
Ausländer im Iran in den Genuss dieser Gastfreundschaft kommen.
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Zu Besuch bei einer iranischen Familie
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