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Newsletter vom 5. November 2022: Redneck-Land, der tiefe Süden der USA

Die nächste Etappe führte uns nach Birmingham, wo gegen Ende des letzten Jahrhunderts sehr viele Einwohner ihre Arbeit verloren, als das Eisenerz auf dem Weltmarkt nicht mehr konkurrenzfähig war. Einer der ehemaligen Hochöfen und einzig Erhaltener in den USA legt Zeugnis der Industriegeschichte des 20. Jahrhunderts ab (und ist ein formidables Fotomotiv).

Wir sind jetzt tief im Süden der Vereinigten Staaten, in einem Gebiet, in welchem die Farbigen während Jahrhunderten unmenschliches Leid erfuhren.
Während fast 400 Jahren wurden etwa 12 Millionen Menschen aus ihrer Heimat geraubt und über den Atlantik auf die Baumwoll- und Zuckerrohrfelder in den Südstaaten verschifft. Alleine auf der Überfahrt starben 2 Millionen, die irgendwo auf dem Meeresgrund ihre letzte Ruhestätte fanden. Das Elend der Sklaverei lässt sich kaum beschreiben. Trotzdem hat es sich das Museum "The Legacy Museum" in Montgomery, Alabama zur Aufgabe gemacht, an all diese Menschen zu erinnern.
Das Museum und das angegliederte "National Memorial for Peace and Justice" ist die erste Gedenkstätte des Landes, die dem Vermächtnis versklavter schwarzer Menschen gewidmet ist, Menschen, die durch Folter und Lynchjustiz terrorisiert wurden, Afroamerikanern, die durch Rassentrennung und Gesetze gegen ihre Rechte gedemütigt wurden und farbigen Menschen, die von zeitgenössischer Polizeigewalt betroffen sind. Denn als am Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges die Sklaverei offiziell verboten wurde, war das Leiden noch lange nicht ausgestanden. Das Bild des minderwertigen Objektes war in noch zu vielen Köpfen eingebrannt und so folgte ein Jahrhundert (etwa bis 1960) in dem Farbige - auch Frauen und Kinder - aus den nichtigsten Anlässen oder Falschanschuldigungen gelyncht wurden. Die Rassentrennung wurde aber noch lange fortgeführt und in Montgomery waren zum Beispiel gemischte Ehen bis im Jahr 2000 offiziell verboten.

Das Museum und die Gedenkstätte haben uns erschüttert. Obwohl wir das alles wussten, lassen einen die vielen Einzelschicksale, die hier beschrieben werden, nicht kalt.

Auf dem weiteren Weg Richtung Golfküste passierten wir riesige Baumwollfelder und noch mehr Kirchen und Gebetstempel als sonst schon in Amerika stehen.
Wir sind tief im Redneck-Land. "Redneck" heisst übersetzt "Roter Nacken". Ursprünglich waren damit eher abfällig die armen, weissen Landarbeiter genannt - insbesondere aus dem Süden -, denen die Sonne den Nacken verbrannte. Heute steht diese Bezeichnung als Synonym für konservative Reaktionäre, die über wenig Bildung verfügen und liberale Ansichten ablehnen.
Aus Wikipedia: "Nach stereotyper Vorstellung charakterisiert zu Beginn des 21. Jahrhunderts den typischen Redneck eine Reihe spezifischer Weltanschauungen und Lebensweisen. Dazu zählen unter anderem die Unterstützung der Republikanischen Partei, eine Ablehnung von Gewerkschaften und Sozialhilfezahlungen, eine Geringschätzung des Regierungsapparates, Skepsis gegenüber Personen mit akademischen Hintergrund, die Zugehörigkeit zu einer christlich-fundamentalistischen Glaubensrichtung, ein ausgeprägter Patriotismus, Nutzung des konservativen TV-Senders Fox News Channel als primäre Informationsquelle, Ablehnung der gleichgeschlechtlichen Ehe und des Rechts auf Abtreibung,..." und so weiter.

Schlussendlich landeten wir (entgegen unseren Plänen) doch noch in Florida. In den Vorgärten stehen Trump-Schilder und machen unmissverständlich klar, für welche Seite das Herz schlägt - auf jeden Fall nicht für die, in die es eigentlich hingehört.

Ein paar Tage machten wir Pause in Pensacola Beach, genauso wie die prächtigen Monarchfalter auf ihrem Weg nach Mexiko. Der Quarz-Sand an den Stränden der Golfküste ist schneeweiss und so puderzuckerfein, dass er unter den Füssen knirscht. Einfach wunderschön!
Wir genossen die Tage hier am Golf extrem. Die letzten zwei Monate waren wir entweder unterwegs oder in einer Grossstadt. Und jetzt konnten wir uns mal so richtig ausruhen und die Seele baumeln lassen. Und uns kulinarisch von der Südstaatenküche verwöhnen lassen.

Ganze Abschnitte an der Golfküste wurden neu aufgebaut, da Hurrikane Ivan im Jahr 2004 und anschliessend Katrina im Jahr 2005 hier ganz schön gewütet haben. Im Gegensatz zum schon fast beschaulichen Pensacola Beach konnten an den Gulf Shores die Bauherren ungeniert dem Motto "Je grösser, je besser" frönen und reihenweise Hochhäuser hinpflanzen.
Aber wenn man sich etwas von der Küste entfernt, findet man abseits des Trubels durchaus hübsche Plätzchen, zum Beispiel an der Bon Secour Bay, unterhalb von Mobile, Alabama. Da standen wir direkt am Wasser, genossen die leichte Brise, die gegen die 30 Grad bei einer Luftfeuchtigkeit von knapp 100% ankämpfte und sahen den Pelikanen zu, die ihre Sitz-Pfähle verteidigen.

Unser nächstes Ziel ist New Orleans. Theoretisch. Denn Hurrikan Lisa lauert irgendwo im Osten von Mexiko. Aber sie hat sich in Belize wohl schon ausgetobt, im Moment herrscht lediglich Warnstufe "mittel".

PS: Der Text auf Bild Nummer 04 bedeutet übersetzt etwa: "Sieben Schwarze wurden in der Nähe von Screamer, Alabama, 1888 gelyncht, weil sie aus dem Brunnen eines Weissen getrunken hatten".

 

Die ehemaligen Hochöfen von Birmingham

 

 

National Memorial for Peace and Justice (Denkmal für Frieden und Gerechtigkeit)

 

 

Sinnbildlich für die entwurzelten und aufgehängten Menschen

 

 

"Sieben Schwarze wurden gelyncht, weil sie aus dem Brunnen eines Weissen getrunken hatten"

 

 

Unermessliches Leid

 

 

Weisser Sand am Pensacola Beach, Florida

 

 

Kitschig schön

 

 

Beach house, somewhere in Alabama

 

 

Camping an der Bon Secour Bay, Alabama

 

 

Die Blaue Stunde beginnt

 

 

Federn trocknen oder jedem Vogel seinen Pfosten

 

 

Vanillefalter (sieht dem Monarchfalter zum Verwechseln ähnlich)

 

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