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Newsletter vom 16. September: Neufundland - The Rock

Als der Homo Sapiens seine Wiege in Ostafrika vor langer, langer Zeit verliess, wanderte ein Teil unserer Vorfahren nach Westen und ein Teil nach Osten. Die Menschen, die sich Richtung Osten ausbreiteten, erreichten Amerika und damit Neufundland über Sibirien und Alaska (wohin man damals noch trockenen Fusses via Beringstrasse kam). Diejenigen, die sich nach Westen aufmachten, erreichten Amerika und damit Neufundland via Skandinavien und Grönland per Schiff. Und an der Spitze Neufundlands (auf jeden Fall irgendwo in dieser Gegend) begegneten sich Indianer und Vikinger nach Jahrtausenden wieder - der Kreis hatte sich geschlossen.

Wir verbrachten fast die ganzen letzten zwei Wochen an der Westküste Neufundlands, auf dem sogenannten Viking Trail. Zuerst besuchten wir den Gros Morne Nationalpark (Gros Morne bedeutet übrigens "Finstere Hügel").
Der Südteil des Parkes wird dominiert von Tafelbergen, deren gelbes Gestein ein Stück des Erdmantels ist, welcher zwischen dem amerikanischen und dem eurasischen Kontinent lag und bei einer Plattenverschiebung hochgedrückt wurde. Der Park ist deshalb vor allem für Geologen interessant. Uns interessierten eher die Farbenspiele der gelben Felsen inmitten grüner Täler und dunkelblauer Fjorde und Seen. Und die kleinen Fischerdörfer am Rande des Parks, mit ihren verrosteten Kähnen und bunten Holzhäusern, von denen die Farbe langsam abblättert. Besonders schön ist Woody Point, welches ein paar wunderbar restaurierte, historische Häuser hat - bei "historisch" reden wir von 1920 oder so - und wo man vom Ufer aus den Minkwalen und Delphinen in der Bonne Bay zusehen kann (wir sind etwas zu langsam und sehen leider meistens nur noch die Wellen nach dem lauten Platsch... ). An diesem zauberhaften Ort hatten wir auch das Glück, einen der letzten milden Abende der Saison draussen verbringen zu können.
Eine der grossen Attraktionen des Gros Morne NP ist der Western Brook Pond; ein ehemaliger Fjord, dessen Zugang zum Meer in der letzten Eiszeit durch eine Erdanhebung abgetrennt wurde. Der See sieht aber immer noch aus wie ein sich landeinwärts verjüngender Fjord mit bis zu 650 Meter hohen Felswänden auf beiden Seiten. Und auf diesem See wollten wir eine Bootstour machen. Da keine Strasse zur Schiffsanlegestelle führt, muss man sich das Vergnügen aber zuerst erlaufen. Ein paar Kilometer hin und ebensoviel zurück über eine Moorlandschaft, vorbei an schwarzen Seen und dabei den tiefen Einschnitt des Fjordes vor sich. Leider frischte der Wind immer mehr auf und als wir endlich an der Anlegestelle ankamen, mussten wir vernehmen, dass die Bootstour in letzter Minute abgesagt wurde.

Dorian kam aber erst ein paar Tage später...
Als die Meldungen und Warnungen hier in Neufundland immer eindringlicher wurden, die erwarteten Windgeschwindigkeiten laufend nach oben korrigiert, an der Küste über 10 Meter und vereinzelt bis 20 Meter hohe Wellen und eine ziemliche Verwüstung vorausgesagt wurde und sie anfingen, Campingplätze zu schliessen und zu räumen, wurde es uns doch etwas mulmig. Da praktisch alle Campingplätze direkt am Meer liegen, suchten wir uns eine Alternative und fanden etwas landeinwärts ein Cottage, welches wir für zwei Nächte mieteten.
Die Einheimischen bereiteten sich vor, räumten weg was herumfliegen könnte, zurrte alles andere fest und schlugen nochmal ein paar Nägel ein. Wir bereiteten uns im Cottage ebenfalls vor. Wir füllten Kübel mit Wasser (da ohne Strom die Pumpen nicht laufen), kochten und assen schon am Vormittag das Abendessen (weil ohne Strom auch der Herd nicht geht) und heizten die Hütte nochmal so richtig auf. Den Camper stellten wir vorsorglich hinters Haus und hofften, dass keine Tannen zu fliegen kommen. Und dann konnten wir nur abwarten und hoffen, dass es weniger schlimm wird als vorausgesagt.
Und wir wurden tatsächlich verschont, wir hatten nur ein paar Stromunterbrüche in der Nacht. Der Sturm tobte sich vor allem über den Atlantikprovinzen Nova Scotia, New Brunswick und Prince Edward Island aus, hinterliess dort etwa eine halbe Million Haushalte tagelang ohne Strom und viele glückliche Kinder, da die Schulen geschlossen blieben.

Wir fuhren bis ganz an die Nordspitze Neufundlands, wo man übers Meer schauen und in gar nicht so weiter Ferne Labrador sehen kann. Endlose Wälder breiten sich aus, die einzige Strasse hat schon bessere Zeiten erlebt, an Infrastruktur hat es so alle 100 Kilometer ein Motel oder eine Tankstelle, winzige Fischerdörfer sprenkeln die Küste und wo die Tundra den Wald verdrängt hat, sollte man eigentlich Karibus sehen. Aber wir hatten ja schon Elchmässig kein Glück bis jetzt.
Und dort, ganz im Norden liegt der Landungsplatz der Vikinger - L'Anse aux Meadows (eine Unesco World Heritage Site). Wo die Spuren und Artefakte gefunden wurden, hat man eine Siedlung aus Grassonden- resp. Torfsonden-Hütten nachgebaut. Im Inneren kann man sehen, wie gemäss Vorstellungen der Historiker die Vikinger damals lebten, sogar ein paar lebende "Vikinger" bevölkerten die Häuser und die Schmiede und erzählten Geschichten.
Am Spannendsten waren aber die "Geschichten" des Rangers, welcher die Führung machte. So im Stil: was alle Touristen schon immer über dieses komische Land wissen wollen aber sich nicht getrauen zu fragen...
Auch für uns wurden einige Fragen geklärt. Zum Beispiel das Mysterium der Eingangstüren, die ins Leere führen: die Häuser in Neufundland haben einen Eingang, meist auf der strassenabgewandten Seite, welcher in das Herz des Hauses - die Küche - führt. Dann gibt es noch einen zweiten Eingang an der Vorderseite, der in die repräsentativeren Räume, sprich das Wohnzimmer führt. Viele Häuser sind an einen Hang gebaut und so kann sich diese Vordertüre schon mal ein paar Meter über dem Boden befinden. Im Volksmund wird dieser Eingang übrigens die "Schwiegermutter-Türe" genannt (ein Schelm, der Böses dabei denkt). Tatsächlich ist es so, dass ein Haus aus feuer- und sicherheitstechnischen Gründen zwei Ein- resp. Ausgänge braucht, damit der Bauherr überhaupt die Baubewilligung erhält. Als gesetzestreue Bürger halten sich die Neufundländer strikt an diese Auflage. Aber nirgends in diesem Gesetz steht etwas über eine Treppe, die zu dieser Tür führen muss. Und so hat sich wohl manch einer gefragt, warum für eine Treppe zu einer Tür bezahlen, die eh nie jemand benutzt?
Oder eine andere Antwort auf eine Frage, die wir nie stellten: Hier im Norden von Neufundland sieht man direkt am Strassenrand immer wieder Gemüsegärten. Sie sind ein paar Quadratmeter gross und mit soliden Holzpalisaden eingezäunt, damit die Elche nicht alles wegfressen. Der Grund für die ungewöhnliche Lage der Gärten: die Humusschicht ist in Neufundland generell ziemlich dünn. Beim Strassenbau wird dieser Humus abgetragen und links und rechts der Strasse aufgeschüttet. Und das reicht dann für Wurzelgemüse wie Kartoffeln, Rüben und Zwiebeln.

Auf unserem Weg zurück nach Süden und ab Deer Lake weiter nach Osten fuhren wir durch ein Neufundland, welches sich zusehends winterfertig macht. Viele Campgrounds hatten bereits geschlossen und diejenigen, die den Betrieb noch minimal aufrecht erhielten, waren oft verwaist (sowohl Manager- als auch Besuchermässig).
Auch auf der Baie Verte Peninsula bestimmen endlose Wälder das Bild und die Strassen sind in einem noch erbärmlicheren Zustand. Zoltan meinte, das sei Wellblech aus Asphalt. Wir passierten immer wieder entwurzelte Bäume oder gar ganze Baumreihen - Spuren von Dorian.
Am äussersten Zipfel von Baie Verte liegt La Scie, ein Fischerdorf in einer Bucht. Und am Ende des Dorfes, auf den Klippen, liegt ein Campingplatz an spektakulär schöner Lage. Einer der schönsten Orte, an denen wir je campierten. Auch die Sonne schien wieder von einem blauen Himmel, hatte aber nicht mehr genügend Kraft um die Luft aufzuheizen. Wir müssen langsam daran denken, dass unsere Tanks und Leitungen nicht frostsicher sind.
Mal schauen, wie lange wir es noch in Neufundland aushalten oder anders gesagt - wann uns der Winter vertreibt?

Noch was: Es ist schon etwas Spezielles, der Geist in den abgelegeneren Ecken Neufundlands. Alle grüssen uns, selbst die Teenager halten an und wollen mit uns schwätzen, im Restaurant wird einem zum Abschied die Hand gedrückt und vor jeder zweiten Haustür prangt ein grosses "Welcome"-Schild. Wie oft schon haben wir die Strasse überquert, ohne es eigentlich zu wollen, nur weil der freundliche Newfie partout nicht weiterwollte (weil wir per Zufall am Strassenrand standen). Ein schlechtes Gewissen wegen dem Wetter scheinen sie auch zu haben, interessiert es sie doch, wie uns das Wetter bisher behandelt habe. Und sobald dann mal die Sonne scheint, ruft man uns über die Strasse "what a nice day" zu. Man könnte sich glatt in Land und Leute verlieben (wenn hier nur nicht so ein grauenvoller Dialekt gesprochen würde...).

 

Der Leuchtturm von Woody Point

 

 

Das hübsche Städtchen Woody Point an der Bonne Bay

 

 

Lobster Cove, im Westen von Neufundland

 

 

Wolkenspiele

 

 

Selfie im Arches Provincial Park

 

 

Die Vikinger von L'Anse aux Meadows

 

 

Fangfrische Snow Crabs - yummy!

 

 

Campen über dem Städtchen La Scie

 

 

Abenddämmerung bei La Scie

 

 

Sonnenuntergang am nächsten Tag

 

 

Die Küste bei La Scie im Abendlicht

 

 

Die Küste bei La Scie im Morgenlicht

 

 

"Schwiegermuttertüre"

 

 

Sogar diese verfallende Hütte in der Shoe Cove Marina hat eine zweite Eingangstüre

 

 

Fischerhütten im kleinen Hafen von Kings Point

 

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